Hollywood tut sich nach wie vor schwer mit Minderheiten – und das wird nirgends deutlicher als bei den Oscars
2015 war für Hollywood ein außergewöhnliches gutes Jahr. Auch wenn nur eine Handvoll Filme so richtig die Kassen klingeln lassen haben, war das Kino-Jahr in Sachen Vielfalt und Qualität so überzeugend wie seit langem nicht mehr – „Lo-Fi“ und kleine Filme wie das mit einem iPhone gedrehten Indie-Juwel Tangerine, bis zu „Hi-Fi“ Mega-Blockbustern wie Star Wars: The Force Awakens. Ob Genre-Filme wie Ex Machina, das clevere Regiedebüt von Alex Garland (Autor von Sunshine & Dredd), Charakterdramen wie Carol und Brooklyn, Horror (Babadook, It Follows), Komödien (Trainwreck), Animation (Inside Out, When Marnie was There), Survival-Western (The Revenant), Dokumentarfilme (The Look of Silence, Amy) oder Thriller (Bridge of Spies) – praktisch jedes Genre hat dieses Jahr herausragende Filme hervorgebracht.
Diese Vielfalt zeigt sich auch in den acht Filmen, die dieses Jahr für einen Oscar in der Kategorie „Bester Film“ antreten – vom intimen Kammerspiel (Raum) bis zur postapokalyptischen Materialschlacht (Mad Max: Fury Road).
Dass in einem solchen Ausnahmejahr viele bemerkenswerte Filme unter die Räder kommen, Filme die in jedem anderen Jahr sicher nominiert worden wären, ist kein Wunder. Diesmal trifft es unter anderem das meisterhaft konstruierte Aaron-Sorkin-Dialog-Feuerwerk Steve Jobs, Tarantinos blutigen Western The Hateful Eight und Sicario, Denis Villeneuves kompromisslose Abrechnung mit dem amerikanischen Drogenkrieg.
Auch in diesem Jahr überschattet im Vorfeld eine inzwischen vertraute Kontroverse die Preisverleihung: Sind Minderheiten bei den Oscars angemessen vertreten? Zwar moderiert Chris Rock, und viele schwarze Stars sollen Trophäen überreichen – aber eben fast ausschließlich an weiße Preisträger. Spike Lee und Jada Pinkett-Smith haben aus genau diesem Grund zum Boykott der Veranstaltung aufgerufen.
Und wenn man sich vier der Kritiker-Lieblinge ansieht, die in der „Bester Film“ Kategorie mit auffälliger Abwesenheit glänzen, fällt es schwer, den Aufruf von Lee und Pinkett-Smith als eine politisch korrekte Überreaktion abzutun: Creed, Straight Outta Compton und Beasts Of No Nation werden von schwarzen Darstellern dominiert (zwei der drei stammen außerdem von afroamerikanischen Regisseuren), während Carol eine sensible LGBT-Geschichte erzählt. Beasts of No Nation hat das Handicap, eine Netflix-Produktion zu sein (nicht gerade der beste Freund er traditionellen Filmindustrie), aber es ist schwer abzustreiten, dass Idris Elba darin eine der herausragenden – und unvergesslichen – schauspielerischen Leistungen abgeliefert hat.
Wenn man die Nominierungen für schwarzes und LGBT-Kino in vergangenen Jahren betrachtet, bekommt man den Eindruck, dass Filme über oder mit Minderheiten deutlich bessere Oscar-Chancen haben, wenn sie Unterdrückung thematisieren und (unfreiwillig) an das schlechte Gewissen der Academy-Mitglieder appelieren. Filme wie Brokeback Mountain oder 12 Years a Slave werden mit Preisen bedacht, während schwarzes oder LGBT-Kino, das keine gesellschaftlichen Missstände anprangert, mit auffälliger Häufigkeit ignoriert wird.
Inzwischen hat die Academy zwar Besserung gelobt, aber im Jahr 2015 haben Filme, die afroamerikanische Kultur zelebrieren (Straight Outta Compton) oder eine lesbische Liebesgeschichte ohne Moralkeule erzählen (Carol), eindeutig Pech gehabt.
In einer Zeit, in der Rassismus und gleichgeschlechtliche Partnerschaften so sehr die US-Schlagzeilen – ebenso wie deutschen – dominiert haben, ist es schwer nachzuvollziehen, warum die Oscars so leichtfertig die Chance verspielen, gesellschaftlich relevant zu sein. Zumal die Oscar-Wähler der Academy sich ansonsten größte Mühe geben, ihr soziales Gewissen nach vorne zu kehren. Die dieses Jahr nominierten Filme thematisieren Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche (Spotlight), Auswüchse des Kapitalismus (The Big Short), Nationalismus (Bridge of Spies) und Rassismus (The Revenant), und in drei von ihnen – Room, Brooklyn und Mad Max: Fury Road – stehen starke und komplexe weibliche Figuren vor der Kamer.
Und doch – ich mag mich über die Rückständigkeit und den Rassismus der Academy ärgern, und darüber, wie vorhersehbar auch dieses Jahr wahrscheinlich wieder die Gewinner sein werden, wie abgestanden ihre Dankesreden – aber auch diesmal werde ich nicht nur in der Oscar-Nacht vor dem Fernseher sitzen (und – Achtung Eigenwerbung – am Freitag davor live bei WDR3 TonArt über die nominierte Musik sprechen), sondern ich freue mich auch jetzt schon wieder wie ein Kind darauf. Bei aller Kritik, Zynismus und potentieller Enttäuschung kann ich der Magie von Hollywoods größter und traditionsreichster Zeremonie nicht widerstehen.
Trotzdem wäre es doch schön, wenn in Zukunft schwarze Schauspieler nicht nur für Sklavenrollen geehrt werden und vielleicht einem gleichgeschlechtlichen Paar auch mal ein Happy End gegönnt ist.