Kritik: Diane Setterfield – Aufstieg und Fall des Wollspinners William Bellman
Bellman & Black
historischer Roman mit dezenten Schauerelementen
England
Oxford
2014 (Original: 2013)
400
Blessing
Der erste Roman seit dem Bestseller „Die dreizehnte Geschichte“ ist richtig gut
Es gibt Leute, die mir das Telefonbuch vorlesen können. Der Schauspieler und Sprecher Manfred Steffen zum Beispiel; er hat in der legendären WDR-Hörspiel-Fassung des Herrn der Ringe den Gandalf gesprochen (und in meiner furchtbaren Kinderhörspielreihe Lady Lockenlicht den Meister des Lichts; hier kann man hören, wie er klang).
So funktioniert es auch bei Schriftstellern; egal, was Donna Tartt schreibt, es gefällt mir; auch wenn das Erzähltempo wie im Distelfink gelegentlich gegen null tendiert. Und obwohl Paul Auster im Prinzip seit Jahren immer wieder den gleichen Roman schreibt, lese ich die neue Version trotzdem jedes Mal mit leuchtenden Augen.
Dass aber Diane Setterfield auch dazu gehört, habe ich nicht erwartet – denn ihr heftig umhypter Debütroman Die dreizehnte Geschichte hat mich damals schwer enttäuscht. Nach der Lektüre vom Aufstieg und Fall des Wollspinners William Bellman kann ich mir das nur durch überhöhte Erwartungen erklären
Diane Setterfields Stil ist leise und unaufgeregt, fast kühl. Das passt zur Handlung, die sehr wenig erzählt: Aufstieg und Fall des Wollspinners William Bellman, genau wie der Titel verspricht. Nicht mehr, nicht weniger.
Will Bellman ist elf Jahre alt, als er einen Stein aus seiner Zwille fliegen lässt, der einen perfekten Bogen beschreibt und einen jungen Raben trifft. Seine Freunde klopfen ihm beeindruckt auf den Rücken, aber William hat damit sein Schicksal besiegelt. Er geht seinen Weg, heiratet das Mädchen seiner Träume, hat beruflich überwältigenden Erfolg, weit über das Maß hinaus, was ein Bastard im 19. Jahrhundert zu erwarten hat. Aber die Raben haben Rache geschworen.
Aufstieg und Fall von William Bellman sind wunderbar erzählt, ganz schlicht und elegant, und mit einem subtilen aber permanenten unheilverkündenden Beben im Hintergrund. Selbst, wenn der Fall von William Bellman nicht schon im Titel angekündigt wäre, würde man ihn kommen spüren, selbst in Williams glücklichsten Momenten. Was mich aber viel mehr bewegt hat, ist wie dieser Fall sich entwickelt. Denn William geht nicht an den Tragödien seines Lebens zugrunde, sondern vielmehr an der Art, wie er mit ihnen umgeht (nämlich gar nicht).
Diane Setterfields Roman ist im englischsprachigen Raum als Geistergeschichte vermarktet worden und hat viele Leser enttäuscht, die mit einer entsprechenden Erwartung an ihn herangetreten sind. Kein Wunder: Es gibt kein einziges eindeutig übernatürliches Element in diesem Roman, nichts, was sich nicht als Pech oder posttraumatische Belastungsstörung wegdiskutieren lassen würde. Aber gerade diese Ambivalenz macht Aufstieg und Fall des Wollspinners William Bellman für mich so faszinierend.
Was mir aber an diese Roman am besten gefällt, ist dass Frau Setterfield eine Geschichte erzählt, die mit Haut und Haar ins 19. Jahrhundert gehört, vom Stil, über die Tatsache, dass eine Lebensgeschichte von Kindheit bis Tod erzählt wird, bis hin zum dezenten Schauerelement. Und doch ist es gleichzeitig eine, die ganz viel über unsere Zeit aussagt; über unsere Prioritäten und unsere Ängste und die Versuchung, vor allem Schrecklichen lieber hastig die Augen zu verschließen.