David Whitehouse - Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek
Mobile Library
Road Novel, Fabel
Großbritannien
Großbritannien
2015
315 Seiten
Tropen
Bitter-süße Flucht aus dem Alltag
David Whitehouse beginnt seinen neuen Roman mit dem Ende, und er macht keinen Hehl daraus, dass dieses Ende nicht besonders happy sein wird. Und während der nächsten 300 Seiten habe ich mich immer mehr gefühlt wie bei der dritten oder vierten Aufführung von Romeo und Julia: Voll absurder Hoffnung, dass die Sache diesmal vielleicht doch anders ausgeht.
Aber was er seine Protagonisten auch so furchtbar liebenswert schreiben, der Herr Whitehouse? Er hatte mich schon im zweiten Kapitel – dem ersten nach dem Ende. Darin will ein Junge zum Roboter mutieren, um seinen besten Freund beschützen zu können, und deshalb führt er immer wahnwitzigere Unfälle herbei. Metallteile in Armen, Beinen und Kopf implantiert zu bekommen, kann ja schließlich nur ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Das ist nur ein kleiner Strang in der Geschichte von Bobby, Val, Rosa und Joe, eigentlich nur eine Präambel, aber sie bringt gut auf den Punkt, was mir an der Reise mit der gestohlenen Bibliothek so gefallen hat: Dieser Seiltanz über Tragik und Komik, meistens (nicht immer, aber wirklich meistens) schnurstracks an jeglichem Kitsch vorbei.
Bobby Nusku ist furchtbar allein auf der Welt. Seine Mutter ist verschwunden, der Vater ein Unhold, die neue Freundin noch schlimmer, die Schule eine einzige Katastrophe. Da lernt er Val und Rosa kennen, Mutter und Tochter. Rosa ist ein bisschen langsamer als die anderen Kinder in ihrem Alter, und Val ist eine Löwenmutter. Einmal in der Woche putzt sie den örtlichen Bücherbus. Als der abgeschafft werden soll und sowieso alles ganz furchtbar aussieht, machen sich Bobby, Val und Rosa auf, um ein Abenteuer zu erleben. Und weil man 12jährige Jungs nicht einfach so mit auf Abenteuerfahrt nehmen darf, von Bücherbussen ganz zu schweigen, ist ziemlich schnell die Polizei hinter ihnen her.
David Whitehouse‘ Roman ist ein interessanter Hybrid aus Märchenelementen (die Heldenreise, die böse Stiefmutter, das verwunschene Schloss, das später in der Geschichte seinen Platz hat und so weiter), in die immer wieder die Realität einbricht, in Form von Krankenhausaufhalten, hässlichen Missbrauchsvorwürfe und der Polizei. Dass das Märchenhafte Bobbys Perspektive ist, hätten wir allerdings bestimmt auch verstanden, ohne dass der Autor uns am Ende ein ganzes Kapitel wenig subtil lang mit der Nase drauf stößt.
Aber das ist ein kleinerer Makel; mehr stört mich die Rolle der Bücher, die eigentlich nur gelegentlich einen Einsatz als Deus Ex Machina haben; zum Beispiel, wenn ein Buch von Daniel Pinkwater die Anregung gibt, den Bücherbus anzumalen, damit er nicht erkannt wird.
Aber das ändert nichts daran, dass Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek ein großes Herz hat und voll toller Ideen steckt. Auch die Balance zwischen Tragik und Komik, Märchen und Drama gelingt sehr gut, und die Anfangs-End-Szene macht das Leseerlebnis ungewöhnlich intensiv.