Christopher Morley - Das Haus der vergessenen Bücher
The Haunted Bookshop
Brooklyn, New York
2014 (Originalausgabe: 1919)
254 Seiten
Atlantik
„Das Leben in einer Buchhandlung ist wie das Leben in einem Munitionslager.“ Wiederentdeckung von 1919
Es geht um…
… eine Buchhandlung im Herzen Brooklyns, ihren hardcore-bibliophilen Besitzer Roger Mifflin, seine Frau Helen, seinen Hund Bock (nach Boccaccio) und seine Weltanschauung; um einen jungen Mann, der in Mifflins Laden stolpert, um ihm einen Werbevertrag für dessen Geschäft anzudrehen, und als Freund der Familie bleibt; um eine junge Frau, der die Flausen aus dem Kopf getrieben werden sollen; außerdem um zwielichtige Gestalten.
Bücher im Haus der vergessenen Bücher…
… sind, laut Roger Mifflin, „der gefährlichste Sprengstoff der Welt.“ Alles in Christopher Morleys Geschichte ist mit einem Augenzwinkern erzählt – nur wenn es um Bücher geht, sei es Literatur, philosophische oder naturwissenschaftliche Texte – da kennt er keinen Spaß.
„Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Bücher einen aufspüren und zur Strecke bringen können? Sie verfolgen einen wie der Hund in dem Gedicht von Francis Thompson. Es ist gerade zu unheimlich, ein bedeutendes Buch in seinem Lauf zu beobachten – es folgt einem unablässig, treibt einen in die Enge und zwingt einen, es zu lesen.„
Christopher Morley nimmt immer wieder Auszeiten von seiner quietschvergnügten Geschichten, um Mifflin ausführlich und ernsthaft über Bücher, ihre Bedeutung und Aufgabe des Buchhandels philosophieren zu lassen. Gerade die Fragen, die Morley zu Letzterem aufwirft, sind heute immer noch verdammt aktuell – erstaunlich, wenn man bedenkt dass Das Haus der vergessenen Bücher knapp 100 Jahre alt ist.
Das Haus der vergessenen Bücher und ich…
… das ist mehr Sex als Liebe. Das Design vom Atlantik-Verlag ist wunderschön, schlicht und elegant, und das Buch liegt wunderbar in der Hand. Inhaltlich hatte ich vielleicht zu viel erwartet: Ich liebe Bücher aus den 20er und 30er Jahren, ich liebe alles Bibliophile und ich habe eine Schwäche für romantische Komödien aus der Zeit, bevor sie zum Klischee wurden. Das Haus der vergessenen Bücher klang also wie für mich wiederentdeckt. Trotzdem: Es mir zwar gut gefallen, aber auf eine sehr legere Art, ohne die ganz große Begeisterung.
Vielleicht, weil alles so schnell geht. Christopher Morley mischt so viele Genres – Comedy of Manners, Thriller, Romanze, Essay – dass für die einzelnen Elemente nicht genügend Raum bleibt – abgesehen von Miflins Überlegungen zum Thema Buch. Um die Liebesgeschichte zwischen Titania und Aubrey richtig mitfühlen zu können, kennen wir die beiden noch gar nicht gut genug, als es aufs Finale zu läuft. Erst recht gilt das für das spannende Element des Romans: So schnell erzählt, dass es fast schon albern wirkt. Das könnte als bewusster Kommentar auf die schnell rausgehauenen Spionage-Stories seiner Zeit gedacht sein (über die er Mifflin eine sehr amüsante Passage lang philosphieren lässt). Aber wenn man eine mäßige Spionage-Story erzählt, um schlecht gemacht Spionage-Stories zu parodieren, hat man am Ende eben immer noch eine mäßige Spionage-Story.
Was aber super funktioniert und auch überhaupt nichts von seiner Aktualität verloren hat, ist erstens die Sittenkomödie, vor allem getragen von Morleys charmantem, leicht exzentrischem Protagonisten Roger Mifflin, aber überhaupt sind alle Charaktere wunderbar gezeichnet und sehr unterhaltsam – und zweitens die fast schon essayistischen Passagen über Bücher. Die über Bahnhofs-Buchhandlungen zum Beispiel, wo offenbar seit hundert Jahren die gleiche Art Roman zu finden ist (obwohl ich es heutzutage an Flughäfen noch viel schlimmer finde – hat außer mir schonmal jemand die Buchauswahl in Frankfurt-Hahn begutachtet?).
Ich gehöre zwar nicht zu seinen ganz großen Fans, aber wegen dieser Passagen, wegen Mr. Mifflins Charme und auch wegen seinem schönen Äußeren, bin ich dann doch sehr angetan von Christopher Morleys Roman und hoffe, dass der Atlantik-Verlag auch den Vorgänger Parnassus on Wheels ins Deutsche überträgt – wenn möglich in einer genau so schönen Übersetzung wie Das Haus der vergessenen Bücher.