Auslöschung von Jeff Vandermeer
Annihilation
Science Fiction / Horror
Area X
2014
240 Seiten
Southern Reach Trilogie
Antje Kunstmann
Survival-Horror-Kammerspiel
Eine Psychologin, eine Biologin, eine Anthropologin, eine Landvermesserin. Namenlos, reduziert auf ihr Wissen und ihre Funktion in der Gruppe betreten sie einen Ort, von dem der Großteil der Menschheit höchstens wispern gehört hat: Area X. Was hier passiert ist, warum die Gegend durch eine Barriere (à la Marlen Haushofer) vollends vom Rest der Welt abgeschnitten ist, warum die Menschheit dort nicht überleben konnte – all das sollen sie herausfinden.
Ihren Vorgängern ist es ganz unterschiedlich ergangen: Eine Gruppe hat von paradiesischen Zuständen berichtet, wieder andere sind nie zurückgekommen, wieder andere haben nach ihrer Rückkehr geschlossen Selbstmord begangen. Die vier Frauen sind das zwölfte Team, die zwölfte Expedition, und sie wollen alles anders machen. Die geographischen Gegebenheiten von Area X sowie Flora und Fauna systematisch erfassen, nach Gründen für das nennen, was ihre Chefs „Anomalien“ nennen, zurückkehren und ihre Beobachtungen nüchtern teilen und analysieren. Soweit der Plan.
Ich verrate sicher nicht zu viel, wenn ich sage dass alles anders kommt, schließlich hat Jeff Vandermeer seinen Roman Auslöschung. genannt. Area X ist genau das, was nach den Erfahrungen der vorigen Expeditionen zu erwarten war: ein gut getarntes Raubtier, allerdings eins, das seine Beute auf sehr kreativem Weg jagt. Area X – oder irgendetwas in Area X – scheint den Spieß umzudrehen: Es beobachtet die Wissenschaftlerinnen, es analysiert ihr Verhalten und ihre Schwächen, und spielt sie geschickt gegeneinander aus.
Obwohl ich Auslöschung ohne zu zögern in die Horror-SciFi-Schublade stecken würde, ist das für mich der eigentliche Kern von Jeff Vandermeers neuem Roman. Er beschäftigt sich darin vor allem mit einer Frage: Wie sehr vertrauen Menschen einander, wenn sie zwar vieles übereinander wissen, sich aber trotzdem fremd sind? Die Psychologin, die Biologin, die Anthropologin und die Vermesserin haben unzählige Stunden miteinander trainiert, sie wissen, worin die fachlichen Stärken und Schwächen der einen und der anderen bestehen, sie kennen ihre Biographien bis ins Kleinste, aber sie wissen trotzdem nicht, wen sie vor sich haben. Im Fall der Erzählerin geht Vandermeer sogar noch einen Schritt weiter: Sie kennt nicht einmal sich selbst.
Auslöschung ist gemächlich erzählt und trotzdem spannend. Am Anfang, weil man nicht die geringste Ahnung hat, was das Team in Area X genau erwartet, später weil Vandermeer sehr vorsichtig und geschickt eine ungeheuer bedrohliche Stimmung aufbaut, ohne auf die klassischen Elemente des Horror-Genres zurückzugreifen: Auslöschung ist nicht besonders blutig, es gibt so gut wie keine Schreckmomente, und die Geschlechterrollen, die im Horror oft so wichtig sind, umschifft Vandermeer komplett – Männer kommen nur in Flashbacks vor. Stattdessen lebt der Roman von seinem Gehalt, seiner Atmosphäre und seiner lyrischen Sprache.
Die allerdings – und das ist der ganz große Haken der deutschen Ausgabe – hat der Übersetzer nicht hundertprozentig ins Deutsche übertragen können. Viel zu oft klingen die englischen Formulierungen durch, dadurch fließt der Text nicht, ist oft umständlich und voller Substantivierungen. Mich hat das irgendwann so gestört, dass ich die Originalausgabe gekauft habe. Und erst da ist die hypnotische Stimmung des Romans ganz bei mir angekommen.
Trotzdem gehört Auslöschung zum Interessantesten, was in den letzten Jahren im Fantasy- und SciFi-Genre erschienen ist, und nichts anderes war von Jeff Vandermeer zu erwarten. Ich bin gespannt auf die nächsten Bände. Worum es darin gehen könnte, legt Vandermeer schon an: Er hinterlässt in Auslöschung jede Menge Spuren von christlicher Metaphorik und Symbolik.