My Favourite Faded Fantasy
Damien Rice
2014
51 Minuten
Musiktherapie
Acht Jahre hat es gedauert. Acht Jahre, bis Damien Rice sich von seinem letzten Album 9 und der gleichzeitigen Trennung von seiner Muse Lisa Hannigan erholt und seine Stimme wiedergefunden hat.
Dass die heute ein kleines bisschen anders klingt, hat er gleich mit dem vorab veröffentlichten Titelsong My Favourite Faded Fantasy klargestellt: An die Stelle des verrauchten, tröstlichen Baritons ist eine Stimme getreten, die weder männlich noch weiblich ist, weder Brust- noch Kopfstimme. Eine androgyne, verletzliche Voix mixte.
Was die Gesangstechnik angeht, bleibt das der einzige Ausdruck in fremde Gefilde, und auch sonst ist Damien Rice im Kern Damien Rice geblieben: Die Songs auf My Favourite Faded Fantasy sind Folk-Songs mit komplexen Strukturen, gelegentlich kantigen Harmonien und üppigen Arrangements – Damien Rice kombiniert seine Gitarre immer noch gerne mit Streichern, die bei ihm seltsamerweise nie kitschig klingen, und hin und wieder auch mit Blechbläsern. Er arbeitet immer noch mit Kontrasten, macht aus einem stillen, melancholischen Moment fast ohne Übergang musikalisches Leid, aus einer einfachen Gitarre ein dickes Ensemble-Arrangement.
Aber ein Element, das in seiner Musik noch auf 9 und ganz besonders auf O sehr prominent war, fehlt: Damien Rice geht nicht mehr so in emotionale Extreme – auch wenn man das vielleicht kaum glauben mag, wenn man nur den Titelsong gehört hat. Die Harmonien sind nicht ganz so kantig, die dynamischen Unterschiede nicht ganz so groß, Damien Rice schreit nicht mehr in Agonie, lässt seine Stimme nicht zu diesem harsche Kratzen werden, das man von den extremen Momenten Os kennt. Das Spektrum ist bescheidener geworden, weniger theatralisch, dafür hält Damien Rice sich an Zwischentöne.
Auch thematisch ist das Spektrum nicht sehr breit, geht dafür aber in die Tiefe. My Favourite Faded Fantasy ist ein einziger langer Liebesbrief an eine verlorene Liebe, in verschiedenen Stadien des Verlusts, vom alles überschattenden Initialschmerz vielleicht mal abgesehen. Ob das der Verlust von Lisa Hannigan ist? Obwohl die Trennung der beiden Musiker viele Jahre zurück liegt und Damien Rice seitdem mindestens eine weitere überstanden hat (die von Schauspielerin Mélanie Laurent), wirkt es so.
Der erste Song, der als Titelsong wie ein Motto dem ganzen Album voranschreitet, verkündet: „I know someone who could play the part, but it wouldn’t be the same“ und später flüstert Rice immer wieder: „What it all could be… with you.“ Und da macht es auch plötzlich inhaltlich Sinn, dass seine Stimme gleichzeitig männlich und weiblich klingt. Als müsse er beide Rollen erfüllen.
Überhaupt klebt Hannigans Fingerabdruck – jedenfalls rein musikalisch – immer noch auf allen Songs. Gerade „I don’t want to change you“ könnte auch auf einem ihrer Alben sein. So groß ist die Ähnlichkeit der Melodie, der Wärme des Sounds, dass ich immer wieder erwarte, dass ihre Stimme einsetzt, auch nach mindestens zehnmal hören.
All das führt zu dem Eindruck, sie sei mehr da als weg. Kai hat es so ausgedrückt: Es klingt, als hätte Damien Rice das Album um ihr Fehlen herum geschrieben.
Aber andererseits klingt in vielen Songs mehr Chanson an als auf den früheren Alben, und jemand anders würde darin vielleicht einen Hinweis darauf hören, dass das Album an Mélanie Laurent gerichtet ist. Vielleicht sowohl als auch. Wer weiß.
Sicher ist, dass der Schmerz auf jedem der acht Songs von My Favourite Fantasy zu hören ist, und dass er trotzdem fast nie im Vordergrund steht. Sie klingen wie die Musik eines Mannes, der gelernt hat, mit diesem Schmerz zu leben und trotzdem weiterzugehen. So lässt es sich vielleicht erklären, dass Damien Rice gegenüber dem Hamburger Abendblatt gesagt hat, er empfinde My Favourite Faded Fantasy als fröhliches Album, obwohl es locker das melancholischste Album des Jahres ist – und das obwohl William Fitzsimmons, der John Dowland unseres Jahrzehnts, vor ein paar Monaten ebenfalls ein Album veröffentlicht hat.
Im Moment kann man das komplette Album auf der Website von NPR im Stream anhören.