Der große deutsche Phantasik-Autor spricht mit uns über die Liebe zum Buch und seinen bibliophilen neuen Roman „Die Seiten der Welt“
Disziplin lohnt sich: Kai Meyer schreibt rund zehn Seiten pro Tag, und in den letzten zwanzig Jahren sind 55 Romane von ihm erschienen, fast alle im Fantasy-Genre. Viele von ihnen waren Bestseller. Den Durchbruch schaffte er Mitte der 90er, mit dem Roman Die Fließende Königin, der in einer phantastischen Version Venedigs spielt, wurde er zum Fantasy-Megastar. Der Roman war für den Deutschen Bücherpreis nominiert, den Vorgänger des Deutschen Buchpreises, mit Frostfeuer gewann Meyer ein paar Jahre später die bayerische Corine. Die Community von Lovelybooks hat ihn zum viertbesten Fantasy-Autor überhaupt gewählt.
Die Seiten der Welt ist seit den 90ern, als die Gebrüder Grimm (und Goethe) in zwei frühen Werken auftauchten, der erste Roman, in dem Kai Meyer sich auch inhaltlich mit Literatur beschäftigt. Seine Geschichte er ist vollgepackt mit bibliophilen Motiven: endlose Bibliotheken; eine Stadt, in der geschlossene Buchhandlungen weiter existieren; die Fähigkeit, im Schlaf zu lesen; ein Buch, das eine Brieffreundschaft über zwei Jahrhunderte hinweg ermöglicht. Aber vor allem steckt in den Büchern elementare Magie, die die Familie von Furia, Meyers junger Protagonistin, zu nutzen gelernt hat.
Wir haben Kai Meyer via Email zur Bibliophilie und Die Seiten der Welt befragt.
Pop/Kultur/Schock (Desirée): Sind Sie bibliophil?
Kai Meyer: Ich habe in meinem Haus eine Bibliothek, einschließlich eines Raumes nur für Comics. Von daher: Ja, ich bin wohl bibliophil. Ich mag keine Eselsohren, nehme bei Hardcovern zum Lesen immer den Einband ab und habe diverse teure Sammlerausgaben und seltene Erstausgaben vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Andererseits lese ich mittlerweile sehr viele Romane als E-Books, kann Bücher ohne Probleme abbrechen und nie wieder anfassen, mittlerweile sogar im Altpapier entsorgen. Ich laufe auch nicht ständig mit einem Staubpinsel an den Regalen entlang oder stelle Bücher hinter Glas aus. Das Ganze hat also Grenzen.
PKS: Immer wieder werden Bücher über Bücher geschrieben – und dass Bücher mächtig sind, dass von dieser Macht sogar eine Gefahr ausgehen kann – das ist immer wieder ein Motiv in diesen Büchern, so auch in Ihrem. Worin genau besteht diese Macht in unserer Realität?
Kai Meyer: Die Macht ist heute vermutlich die des geschriebenen Wortes, nicht mehr die des Buches. Früher hatte Papier das Alleinstellungsmerkmal, das einzige Trägermedium für Texte zu sein. Heute macht ihm da das Internet gehörige Konkurrenz, und ich glaube, niemand kann mehr ernsthaft behaupten, dass Bücher mehr Macht hätten als Blogs und soziale Medien. Aber „Die Seiten der Welt“ ist natürlich ganz bewusst auch sehr nostalgisch, sehr retro im besten Sinne. Das waren Bücher über Bücher ja eigentlich schon immer, selbst als das Internet noch nicht verbreitet war. Nehmen Sie Ecos „Der Name der Rose“ oder „Der Club Dumas“ von Arturo Perez-Reverte – Bücherbücher im besten Sinne, aber endlos nostalgisch. Ich mag das und wollte ein ähnliches Gefühl für Bücher transportieren, nur mit einem ganz anderen Plot.
PKS: Eine unendlich große Bibliothek, im Schlaf lesen zu können – vieles, was für Furia Alltag ist, wirkt wie der Wunschtraum eines Leseversessenen. Ist es Ihrer?
Kai Meyer: Die unendliche Bibliothek brauche ich nicht zwangsläufig, meine ist mir manchmal schon zu groß. Aber um endlich all die Stapel überall im Haus abzuarbeiten, wäre Furias Somnevolismus – Schlaflesen – eine ganz willkommene Lösung.
PKS: In den Seiten der Welt gibt es ganz konkret die Bedrohung, dass die gesamte Literatur ausgelöscht werden könnte. Wenn das tatsächlich möglich wäre, welche Auswirkungen hätte das wohl auf unsere Gesellschaft?
Kai Meyer: Ich müsste jetzt aus Überzeugung eine Lanze für die Literatur brechen, fürchte aber, dass sich die nächste oder übernächste Generation zügig damit abfinden würde, dass Geschichten eben nur noch in Filmen, Videospielen und auf Websites erzählt werden. Bücher sind ja als Gegenstand sehr altmodisch, und gerade deshalb mögen wir, die sie lieben, sie so sehr. Bücher versprechen Behaglichkeit, Ruhe, ein Abkapseln von der Umwelt. Würde jemand damit nicht aufwachsen, würde er es wohl auch nicht vermissen. Das sieht man ja heute schon in einigen Bevölkerungsschichten.
PKS: Bibliomanten wie Furia ziehen ihre Macht aus einem Seelenbuch. Wenn sie bibliomantisch veranlagt wären – was könnte Ihr Seelenbuch sein?
Kai Meyer: Am nächsten sind mir naturgemäß meine eigenen Bücher, weil sie nur aus mir selbst kommen. Mit ihnen verbindet mich demnach die größte Verwandtschaft, das engste Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn ich also die Idee des Seelenbuchs konsequent zu Ende denke, müsste das Seelenbuch eines Autors eigentlich ein eigenes sein. In gewisser Weise mag das selbstverliebt klingen, aber das ist völlig losgelöst vom Qualitätsgedanken: Wie könnte mir ein Buch näher stehen als eines, das ich selbst Wort für Wort zur Welt gebracht habe?
Ich höre gerade ein Hörbuch von K. Mayer (Wolkenvolk 2) und habe eine andere Reihe von ihm vor ein paar Jahren gehört – jetzt lerne ich es ist ein bekannter Autor, von dem es noch viel mehr gibt. Kommt direkt auf die Liste für 2015. Danke
Wenn Dir das Wolkenvolk gefällt, sind die Wellenläufer bestimmt auch was für Dich. Arkadien fand ich auch spannend, das geht aber eher Richtung Urban Fantasy.
Wenn Dir das Wolkenvolk gefällt, probier’s doch mal mit den Wellenläufern, ich finde die haben eine ähnliche Stimmung. Arkadien fand ich auch sehr spannend, ist aber Urban Fantasy und nicht so nostalgisch.